Négritude
Die Négritude spielte eine fundamentale ideologische Rolle für die Unabhängigkeit afrikanischer Staaten, insbesondere der französischsprachigen Kolonien. Sie diente als kulturelle Waffe im Kampf gegen die französische Assimilationspolitik und das kolonialistische Narrativ der angeblichen kulturellen Leere Afrikas.
Ihre Hauptrollen waren:
1. Kulturelle und psychologische Emanzipation
Wiederherstellung der Würde: Die von Léopold Sédar Senghor (Senegal), Aimé Césaire (Martinique) und Léon-Gontran Damas (Französisch-Guayana) in den 1930er Jahren begründete Bewegung zielte darauf ab, das schwarze Subjekt von der kolonialen psychologischen Unterdrückung zu befreien.
Positiv besetzte Identität: Der ursprünglich abwertende Begriff „Nègre“ wurde stolz aufgegriffen und mit positiven Werten wie Gemeinschaftssinn, Rhythmus, Sinnlichkeit und einer eigenen afrikanischen philosophischen Tradition aufgeladen.
Ablehnung der Assimilation: Die Négritude lehnte das französische Ideal ab, Afrikaner in "schwarze Franzosen" umzuwandeln, und forderte stattdessen ein eigenständiges kulturelles Selbstverständnis.
2. Fundament des Nationalismus
Ideologische Grundlage: Indem sie die Existenz einer einheitlichen, wertvollen schwarzen Kultur behauptete, lieferte die Négritude eine ideologische Basis für den politischen Nationalismus in den Kolonien. Die kulturelle Unabhängigkeit wurde als conditio sine qua non (zwingende Voraussetzung) für die politische Unabhängigkeit angesehen.
Mobilisierung: Die Bewegung, vor allem durch ihre literarischen Werke und Manifeste, trug zur Mobilisierung des intellektuellen Widerstands bei und stärkte das politische Bewusstsein der afrikanischen Eliten.
3. Politischer Einfluss
Führungspersönlichkeiten: Einer der Mitbegründer, Léopold Sédar Senghor, wurde 1960 der erste Präsident des unabhängigen Senegal. Er übersetzte die Négritude direkt in staatliche Politik, indem er einen afrikanischen Sozialismus und die „Civilisation de l'Universel“ (universelle Zivilisation, zu der die schwarze Kultur ihren Beitrag leistet) als politische Konzepte verfolgte.
Gegensätzliche Strömungen: Die Négritude war jedoch nicht die einzige oder unumstrittene politische Strömung. Kritiker wie Frantz Fanon warfen ihr vor, sie sei zu intellektuell, zu eurozentrisch und würde einen "antirassistischen Rassismus" (Jean-Paul Sartre) pflegen, der einen unnötigen Essentialismus schaffe, anstatt sich auf den revolutionären, gewaltsamen Kampf zur Befreiung zu konzentrieren (wie in Algerien). Auch angelsächsische Panafrikanisten (z.B. Kwame Nkrumah in Ghana) legten einen größeren Wert auf sofortige politische Einheit und Unabhängigkeit.
Zusammenfassend lieferte die Négritude den intellektuellen und kulturellen Unterbau für die afrikanische Selbstbehauptung gegenüber dem Kolonialismus. Sie schuf das Selbstbewusstsein, das für den politischen Unabhängigkeitskampf in der frankophonen Welt essenziell war.
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